Wenn es um psychische Erkrankungen geht wird ein Thema besonders kontrovers diskutiert: Medikamente – oder genauer gesagt Antidepressiva. Einige sagen, eine erfolgreiche Behandlung sei nicht möglich ohne deren Einsatz. Andere wiederum meinen, sie verschlimmern alles nur. Eine Suche nach Erfahrungsberichten lässt einem meistens die Haare zu Berge stehen.
Auch scheint es heute überhaupt nicht mehr schwierig zu sein, an solche Medikamente zu kommen. Als ich Anfang dieses Jahres wegen meiner Schlafschwierigkeiten zu meinem Hausarzt ging, verschrieb mir dieser nach einer ca. 10-minütigen Besprechung ein leichtes Antidepressivum, das auch beim Einschlafen helfen kann. Eine depressive Verstimmung hielt er zwar für möglich, hat diese jedoch nicht diagnostiziert. Das Medikament habe ich dann für ungefähr zwei Monate genommen. Und – was hat es denn genützt? Naja, schlafen konnte ich eigentlich wieder gut, allerdings hatte ich für die ersten zwei Wochen gelegentlich Kopfschmerzen – eine häufige Nebenwirkung. Zudem hatte ich das Gefühl, mental nicht ganz so leistungsfähig zu sein. Da ich zu dieser Zeit viel Denkarbeit bewältigen musste, entschied ich mich dann das Medikament langsam abzusetzen. Die Schlafqualität blieb gut, die übrigen Symptome jedoch unverändert. So viel also mal zu einer persönlichen Erfahrung.
Eine Studie, auf die wir kürzlich gestossen sind, setzt sich mit der Wirksamkeit von Antidepressiva auseinander. Von dieser kann mitgenommen werden, dass Antidepressiva in der Regel etwas wirksamer als Placebos sind. In einem konkreten Beispiel wird beschrieben, dass bei 20-40 Personen eine Verbesserung von Symptomen nach 6 bis 8 Wochen auftrat, wohingegen das bei der Einnahme eines Antidepressivums bei 40-60 Personen der Fall war. D.h. bei 20 von 100 Menschen verbesserten sich die Beschwerden durch die Einnahme eines Antidepressivums. Nicht gerade eine sehr gute Bilanz.
Angesichts der zahlreichen Nebenwirkungen die
auftreten können: Sollte man auf die Einnahme solcher Medikamente denn nicht
verzichten? Wir sehen das etwas differenziert:
- Die Wirkung von Medikamenten variiert sehr stark je nach Person. Obwohl die chemische Substanz gut erforscht ist und die Wirkung
generisch bekannt ist, kann der tatsächliche Effekt sehr verschieden ausfallen.
Die Ursachen dafür sind sehr unterschiedlich. Ärzte verschreiben meistens die
Medikamente, die sie am besten kennen. Das heisst aber nicht, dass sie bei
einer konkreten Personen den gewünschten Effekt bringen. Um das herauszufinden
müssten verschiedene Messgrössen eruiert werden. Gerade kürzlich haben wir von
einem Start-Up gehört, das anhand von EKG, Blutbild und weiteren Tests mithilfe
eines lernfähigen Algorithmus feststellen kann, welche Antidepressiva am
ehesten auf eine gegebene Person anschlagen. So detailliert wird das in der
Praxis aber fast nie gemacht.
- Die Entscheidung, ob ein Antidepressivum eingenommen werden soll, hängt
von der Schwere der Erkrankung ab. Die Wirksamkeit von
Antidepressiva ist bei leichten depressiven Verstimmungen kaum vorhanden.
Besonders bei starken und mittleren ist sie jedoch bedeutend höher.
- Was wäre die Alternative? Die Entscheidung kommt letztlich darauf an, welche anderen Optionen man noch hat. Wenn Therapien und andere Hilfsmittel nichts gebracht haben kann die Lage ziemlich hoffnungslos aussehen. Depressionen weisen eine enorm hohe Korrelation mit Suizid auf. Bevor es jedoch dazu kommt, sollten dann nicht alle Optionen ausprobiert werden – auch wenn diese manchmal nicht besonders vielversprechend erscheinen? Dieser letzte Punkt gilt unserer Meinung nach aber nur bei wirklich schweren Fällen. Jordan Peterson hatte dazu auch etwas ganz interessantes zu sagen.
Was können wir also mitnehmen von heute? Ob
Antidepressiva „gut“ oder „schlecht“ sind hängt stark von der Situation ab. Bei
einigen können sie wahre Wunder bewirken bei anderen machen sich nur
Nebenwirkungen bemerkbar. Schlussendlich muss ein Betroffener immer in einem
Kosten-Nutzen-Verhältnis abwägen, ob die Einnahme unter dem Strich etwas bringt
oder nicht.
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